Heiner Terstiege, welche Herausforderungen begegnen uns heutzutage im Recruiting?
Als ich in das Thema einstieg, war der Druck in Recruiting-Markt nur punktuell zu spüren. Mittlerweile hat sich die Situation grundlegend gewandelt: In fast allen Zielgruppen und Regionen ist es schwer, passende Mitarbeiter:innen zu finden. Mitarbeitermangel ist in vielen Unternehmen das Wachstumshemmnis Nummer eins! Durch den Druck sind die Budgets gestiegen und es wurden viele Spezialisten-Stellen für Talent Attraction geschaffen. Das Recruiting professionalisiert sich also, aber der Druck wächst überproportional. Und natürlich bedeutet die zunehmende Professionalisierung, dass es für das einzelne Unternehmen schwerer wird, sich im Recruiting von der Masse abzuheben. Gleichzeitig gibt es auf vielen Ebenen noch Potenziale.
Welche Werkzeuge sind für dich im digitalen Recruiting essentiell?
Aus meiner Sicht geht es weniger um spezielle Tools als vielmehr um eine grundlegende Veränderung: Durch Digitalisierung und technologische Entwicklungen hat das Recruiting viel mehr Mittel in der Hand, die Kommunikation rund um zu besetzende Stellen auszuweiten – es braucht einfach keine hohen Budgets mehr, um die ergänzende Kommunikation rund um eine zu besetzende Stelle oder eine zu bewerbende Zielgruppe aufzubauen.
Was ist dein Top-Tipp fürs Recruiting?
Die Perspektive wechseln! Ein Großteil der Recruiting-Aktivitäten krankt daran, dass wir immer noch zu sehr die Sender-Perspektive einnehmen statt die Empfänger-Brille aufzusetzen. Was will meine Zielgruppe? Wo tummelt sie sich? Was ist ihre Kommunikationserwartung? Und vor allem: Wie kommt meine Kommunikation vermutlich bei ihr an? Bei allem Verständnis dafür, dass Recruiter:innen im Unternehmen mit Vorgaben zu arbeiten haben, dass der Fachbereich, der Betriebsrat und das Marketing reinreden: nicht-marktgängige Jobtitel, ellenlange Anforderungslisten und generische Aufgabenbeschreibungen helfen niemandem weiter.
Wo siehst du die Zukunft des Recruitings?
Für mich liegt die Zukunft ganz klar in einem harmonischem Zusammenspiel von künstlicher und menschlicher Intelligenz. Die Pessimisten gegenüber der “Kälte” von AI übersehen gerne zwei Dinge. Erstens: Ein viel zu großer Teil unserer Arbeit besteht aus routinehaften Vorgängen. Zweitens: Der “human factor” bleibt aufgrund der enormen Arbeitsbelastung in vielen Personalabteilungen auf der Strecke. Wir müssen also die Teilbereiche unserer Arbeit identifizieren, die repetitiv sind und denen klare Prozesse und Kriterien zugrunde liegen. Diese Bereiche müssen wir an intelligente Systeme delegieren – um selbst mehr Zeit fürs Wesentliche, für das Spontane, für das Zwischenmenschliche zu gewinnen.
Warum ist die Stellenanzeige der wichtigste Touchpoint mit Talenten?
Weil sie der Point of Sale ist! Wir formulieren hier einen wesentlichen, tagesbestimmenden Lebensinhalt für unseren zukünftigen Mitarbeiter. Hier gleicht er ab, ob sein bisheriger Lebenslauf in Einklang mit den Vorstellungen des Unternehmens ist. Das gibt uns die Chance, ihm – die Zukunft vorweggreifend – Wertschätzung entgegenzubringen und aufzuzeigen, wie wir seinen Einsatz vergüten wollen. Ich kann es aber auch weniger pathetisch argumentieren: Die Stellenanzeige ist der wichtigste Touchpoint, weil erfahrungsgemäß 90 Prozent aller Besucher einer Karrierewebsite sich vorrangig oder ausschließlich für die Stellenangebote interessieren.
Welche sind die häufigsten Fehler bei der Erstellung einer Stellenanzeige?
Zu den Klassikern habe ich schon etwas gesagt: Jobtitel, die niemand googelt und niemand versteht. Überzogene Anforderungsprofile, weil die Wunschvorstellung des Fachbereichs unhinterfragt bleibt. Am schmerzhaftesten für mich ist es aber, wenn der Aufgabenbeschreibung die Konkretion fehlt. Da kann ich dann als Software-Entwickler häufig lesen, was ein Software-Entwickler typischerweise macht. Was ich im Unternehmen entwickle, mit wem ich zusammenarbeite, wofür das Ganze gut ist – das alles erfahre ich häufig nicht. Für mich ist eine gute Stellenanzeige wie ein “Sendung mit der Maus”-Film. Ich muss mir als Leser vorstellen können, wie ich in einer bestimmten Funktion in einem bestimmten Unternehmen mit Menschen arbeite. Erst dann fängt im Kopf etwas an zu arbeiten. Um diesen “Film” zu erzeugen, muss ich als Recruiter den Job plastisch darstellen. Wenn es das System hergibt, sollten dazu Texte gerne mit weiterem Content wie Videos, Bildergalerien, Interviews etc. ergänzt werden.
Womit sollte man anfangen, wenn man eine starke Employer Brand aufbauen möchte?
Analog zur Stellenanzeige: bei den Adressaten. Aus meiner Erfahrung heraus gibt es in Employer-Brand-Projekten permanent die Gefahr, dass man “zu intern” denkt. Das kann die Projektgruppe sein, die beschreibt, was sie an ihrem Arbeitgeber gut findet, obwohl sie die am dringendsten gesuchten Zielgruppen nicht repräsentiert. Oder die Unternehmensleitung, die in der Positionierung “a little bit of everything” verlangt, statt sich auf wenige, dafür zentrale Stärken zu konzentrieren. Es lohnt sich also, erst einmal den Kompass einzunorden und einen intensiven Blick auf seine Zielgruppen zu werfen, bevor man die Schnittmenge aus deren Bedürfnissen und dem eigenen Angebot identifiziert.
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